Louis "operiert" seinen jüngeren Bruder Thomas mit einem Essmesser. "Sie hatten einen Godzilla im Magen, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung", sagt er schließlich und hält eine Spielzeugfigur hoch. Doch dann gibt es Komplikationen und eine Dose passierter Tomaten kommt zum Einsatz. Louis, dunkle Spritzer auf der Schürze, jagt dem Patienten mit zwei Bügeleisen "Stromstöße" durch den Körper. Die gespielte Operation geht gut aus. Aber dann, ganz ohne Show, macht es "Clomp" - Thomas liegt am Boden und gibt keinen Mucks von sich und Louis ruft verzweifelt nach der Mama.
Der belgische Szenarist Nicolas Wouters und der deutsche Zeichner Mikael Ross erzählen in Totem die Geschichte vom Ende einer Kindheit. Nach der Eröffnungsszene, in der aus Spiel bitterer Ernst wird, stolpert Louis in Gummistiefeln und rotem Regencape durchs Unterholz zum Donnerbalken. Seine Eltern haben ihn ins Pfadfinder-Sommercamp in den Ardennen geschickt, während sie bei seinem kleinen Bruder im Krankenhaus sind, der am Ende des Buchs sterben wird. Die älteren Jungs drangsalieren die Neuankömmlinge, die sich gemäß den Regeln des Lagers einem Initiationsritus unterziehen müssen, um Teil der Gruppe zu werden.
Auf relativ großem, quadratischem Format entfaltet sich eine Parallelwelt mit archaischen Riten, die unheimlich und bedrückend ist, aber gelegentlich auch schön. Grobe Striche und Aquarell in düsteren Blau- und Grüntönen dominieren, durchsetzt von kräftigen Akzenten: dem Ziegelrot von Louis‘ Fuchsmaske oder dem Blut des Hühnchens, das Louis schlachten muss, dem Gelb-Orange des lodernden Feuers oder dem fahlen Ocker von Licht, das durch die Baumkronen fällt. Wouters und Ross arbeiten mit phantastischen Elementen - wie Louis‘ Metamorphose in einen Fuchs, sein Totem, - die aber auch der Phantasie der jungen Protagonisten entsprungen sein könnten. Sicher ist: Als Louis den Wald verlässt, hat er ein Stück Kindheit hinter sich gelassen. [BB]
Nicolas Wouters/Mikael Ross: Totem, ÜS: Claudia Sandberg, Avant-Verlag, 128 S., 29,95 EUR.
Abb.: © Avant-Verlag
Dieser Text ist erschienen im Bonner Stadtmagazin Schnüss, Ausgabe 12/2016