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30.09.2024

Zwischen Betonhitze und Kleingartenkolonie

Schwarze Schraffuren und graue Raster, Speedlines, schräg geschnittene Panels, schnelle Perspektivwechsel, Lautmalereien, zackige Sprechblasen und harte Kontraste - der Berliner Zeichner Mikael Ross greift zielsicher in den Werkzeugkasten der dynamischen Comic-Kunst, um seinen jugendlichen Noir-Thriller Der verkehrte Himmel angemessen rasant zu erzählen.

Der Comic spielt in Berlin-Lichtenberg, in einem Sommer zwischen "Betonhitze" und Kleingartenkolonie. In den Hauptrollen: die Schülerin Tâm und ihr Bruder Dennis, deren vietnamesische Eltern sich in der DDR ein neues Leben aufgebaut haben und ein Restaurant betreiben. Auf einem Parkplatz am Rand eines Markts in Polen treffen Tâm und Dennis auf die junge Vietnamesin Hoa Binh, die in einem Auto eingesperrt ist und kurze Zeit darauf fliehen kann.

Später finden Tâm und ihr Schulkamerad Alex, der per Drohne seinen verschollen geglaubten Vater beschattet und mit Hilfe seiner Kleingartennachbarin Jutta versucht, Schauspieltalent zu entwickeln, unter einer Brücke in Lichtenberg Hoa Binhs Rucksack - und einen abgetrennten Finger, von Ameisen übersät inmitten von Löwenzahn. Fäden laufen zusammen, und schon finden sich Tâm, Dennis und Alex mitten im Strudel einer Verfolgungsjagd, deren Ausmasse sie zunächst nicht begreifen. Gut, dass da auch noch Marina mit den rasierten Schläfen, getuntem Roller und zielsicheren Tritten ist, die einen Chrush auf Dennis hat und als robuster Schutzengel fungiert.

Mikael Ross zeichnet seine Figuren in mangaeskem Strich, mit aufgerissenen Mündern, zugekniffenen Augen und expressiver Gestik und Körpersprache, was das Tempo der Geschichte noch vorantreibt. Der Stil unterscheidet sich deutlich von früheren Werken wie Der Umfall, das in Buntstiftoptik und weicheren Formen daherkam. Dafür hatte Ross zwei Jahre in dem Dorf Neuerkerode recherchiert, in dem Menschen mit geistiger Behinderung betreut leben. Aber auch sein neuer Comic beruht auf eigenen Eindrücken: Ross arbeitet seit 2015 als Aushilfslehrer in Berlin-Lichtenberg, wo es eine große viet-deutsche Community gibt.

Vor dem düsteren Hintergrund von Menschenhandel-Machenschaften erzählt der Künstler seine fiktive Story. Knapp 14 Tage folgen wir dem Abenteuer bis zum offenen Ende - die mehr als 300 Seiten blättern sich wie von selbst bei dieser temporeichen wie emotionsgeladenen Lektüre, die zwischen Action, Drama, Komik und einer Prise Poesie oszilliert.

Mikael Ross: Der verkehrte Himmel, Avant-Verlag, 344 S., 28 EUR

Abbildung aus Der verkehrte Himmel von Mikael Ross © Mikael Ross, 2024
Dieser Text ist erschienen im Comic-Magazin Strapazin, Ausgabe 156