Blog

07.12.2024

Chimäre hinter Gittern

Das Geheimnis transformierender Körper treibt eine Gruppe Wissenschaftler am Institut für Zeitgenössische Wissenschaften einer französischen Kleinstadt am Ende des 19. Jahrhunderts um. Sie haben einen lebenden Werwolf eingefangen und zu Forschungszwecken in einen Käfig gesteckt. Nur traut sich keiner der Herren näher an die unbekannte Kreatur heran.

Gut, dass gerade die Studentin Margo ihr Praxissemester am Institut antritt und eine Aufgabe zugewiesen bekommen soll. Ihre weiblichen Instinkte, so die Professoren, qualifizierten sie von Natur aus nicht nur dafür, Tee zu kochen, sondern auch für die tägliche Pflege des Forschungsobjekts.

In dem Comic-Debüt Meute schildert Noëlle Kröger aus Hamburg Margos wissenschaftliche Ambitionen und ihre vorsichtige Annäherung an die Chimäre hinter Gittern. Kröger geht dabei grafisch kreativ vor und stellt die Zeichnungen in den Dienst der Erzählung. In schroffen Strichen wie von dickem Kohlestift jagt etwa die Meute der Werwölfe in Schattierungen von Grün und Grau nach einem Kaninchen durch den Wald oder flieht vor den Flinten der Jäger; dabei brechen die Linien aus den Umrandungen aus, oder es gibt gar keine Begrenzung. Aus cartoonigen Linien hingegen entsteht Margos Gesicht mit spitzer Nase und aufmerksamen Augen, das sich - in einer Abfolge kleiner quadratischer Panels und in zarten Rosétönen - zu einem breit grinsenden Strichgesicht auflöst, vor heimlicher, übermütiger Freude über die Aussicht, den Werwolf aus nächster Nähe studieren zu können.

Margo ist als einzige Frau am Institut eine Außenseiterin wie der Werwolf namens Versailles; das schafft eine, wenn auch ambivalente, Verbindung zwischen beiden: Margot möchte das Geheimnis der Transformation von Wolf zu Mensch erforschen, Versailles will zu ihrem Rudel zurück, das sich vor den Menschen verstecken muss.

Meute ist eine unterhaltsame Geschichte um eine ehrgeizige junge Forscherin, die sich in einer Männerdomäne durchsetzen muss. Es stellt aber auch Rollen- und Körperbilder in Frage. Und obwohl es leicht gewesen wäre, dem Comic ein versöhnliches Happy End zu verpassen, lässt Kröger ihn stimmig auf einer zweifelnden Note enden.

Noëlle Kröger: Meute, Reprodukt, 232 S., 26 EUR

Abbildung aus Meute von Noëlle Kröger © Noëlle Kröger - Reprodukt
Dieser Text ist erschienen im Comic-Magazin Strapazin, Ausgabe 157