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29.10.2022

Zwischen Honig und Asphalt

Dass Menschen ihre Milch ohne Honig trinken müssten, gehörte in einer Welt ohne Bienen zu den geringsten Unannehmlichkeiten. Weit problematischer wäre zum Beispiel, dass Ernten geringer oder ganz ausfielen. Die Bienen fliegen in Hanna Harms‘ Comic Milch ohne Honig sozusagen stellvertretend für viele Arten bestäubender Insekten, deren Fortbestand ebenfalls bedroht ist, über die Seiten. Von einer "Insektendämmerung" spricht der Bienenexperte Jürgen Tautz vom Biozentrum der Universität Würzburg in seinem Nachwort zu Harms‘ Sachcomic.

Die Fakten, die Hanna Harms in ihrer filigranen Kombination aus Zeichnungen in Graphitgrau, Honiggelb und einem Hauch Rosé und sparsam eingesetztem Text präsentiert, sind nicht neu. Dass Gifte in der Landwirtschaft, versiegelte Flächen oder blütenfreie Rasen und anderes Menschgemachte zum Aussterben von Bienen und anderen Insekten und damit zur Zerstörung unseres Ökosystems führt, das ist bekannt.

Ungewöhnlich ist aber, wie Hanna Harms dieses Thema in Milch ohne Honig, ihrem Bachelorprojekt an der Münster School of Design, visuell umsetzt: Mit Bleistift, Buntstift und Gouache zeichnet und malt sie fragil wirkende Bilder, die sich in honig- oder giftgelben Flächen, Weißraum und Asphalt- und Abgasgrau sehr ästhetisch in Balance halten. (Hier gibt es eine Leseprobe auf der Seite der Künstlerin.)

Eine Fläche aus unterschiedlich gemusterten Feldern in Gelb und Anthrazit verbildlicht zum Beispiel die Intensivlandwirtschaft, die mit Monokulturen und Pestiziden die Lebensräume von Honigbienen, Wildbienen, Hornissen, Wespen, Käfern, Schmetterlingen oder Fliegen zerstört. Zarte Panels zeigen eine aus dünnen Bleistiftlinien erwachsene Blüte, in der eine schwarzgelbe Biene Nektar trinkt, während gelber Pollenstaub um sie herumzuwirbeln scheint. Auf der folgenden Seite steht ein einziges kleines Panel, in dem rechts oben eine Biene Richtung Rand fliegt, darunter der Text: "In Farbe gekleidet tritt die Biene den Heimweg an."

Aus der Verbindung der gelegentlich abstrakten, stets reduzierten Zeichnungen und der aufs Wesentliche verknappten, manchmal fast wie in Verse gefassten Worte entsteht Poesie. Indem Hanna Harms das Schlaglicht auf die Biene als Stellvertreterin setzt, zeigt sie die weitreichenden Auswirkungen, die das Schicksal eines kleinen Insekts haben kann.

Zudem - das soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben - betont der Verlag die umweltfreundliche Herstellung und Ausstattung des Comics sowie die Kompensierung von CO2-Emissionen, die beim Druck des Buches entstanden sind.

Hanna Harms: Milch ohne Honig, 112 S., Carlsen-Verlag, 20 EUR.

Abbildung aus Milch ohne Honig von Hanna Harms, © 2022 Carlsen/Hanna Harms
Dieser Text ist erschienen im Comicmagazin STRAPAZIN, Ausgabe 149